dbb-Jahrestagung 2016

15.01.2016/VRFF-dbb/ABR/Köln:

Die 57. Jahrestagung des dbb, an der auch einige Vertreter der VRFF Die Mediengewerkschaft teilnahmen, fand vom 10. bis 12. Januar 2016 in Köln statt. Die enormen Anstrengungen des öffentlichen Dienstes, insbesondere im Zusammenhang mit dem anhaltenden Flüchtlingsstrom standen dabei im Mittelpunkt. Im Rahmen des Tagungsmottos „Herausforderung für die Demokratie – Politik contra Bürger?“ wurde darüber hinaus auch über schwindende Wahlbeteiligung, nachlassendes Vertrauen in die etablierten politischen sowie das Erstarken so genannter Protest-Parteien, das in-Frage-Stellen von Parlamentsentscheidungen und eine lautstark zum Ausdruck gebrachte Konzentration auf Eigeninteressen debattiert. Mehr als 700 Teilnehmer aus den Reihen des dbb, seiner Landesbünde und Mitgliedsgewerkschaften sowie Gäste aus Deutschland und Europa und zahlreiche Medienvertreter waren der Einladung gefolgt.

Zum Auftakt der Jahrestagung begrüßte der Zweite Vorsitzende des dbb, Willi Russ, in Vertretung des aus gesundheitlichen Gründen verhinderten Bundesvorsitzenden Klaus Dauderstädt, die Teilnehmer. Russ betonte, dass die Solidarität mit Schutzbedürftigen „immer auch ein Grundgedanke allen gewerkschaftlichen Handelns“ sei. Er mahnte jedoch angesichts der riesigen Herausforderungen an den öffentlichen Dienst im Zusammenhang mit der Flüchtlingsbewegung, dass für eine politische Entscheidung  auch in der Verwaltung die Voraussetzungen für die Umsetzungen geschaffen werden müsse.

Ohne das besondere Engagement der Kolleginnen und Kollegen beispielsweise im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei der Polizei in Bund und Ländern, in den Kommunen, Kitas und Schulen, im öffentlichen Gesundheitsdienst oder der Justiz wäre die Situation nicht zu bewältigen, sagte der dbb Vize und verwies auf die Dauerbelastung der Mitarbeiter bis an die Grenze physischer und psychischer Leistungsfähigkeit.

Die gesamtgesellschaftliche „Herkulesaufgabe“ mache auch deutlich, „wie sich der seit Jahren von der Politik herbeigeführte Personalmangel in einer aktuellen Krisensituation auswirkt“. Es gebe in der Verwaltung keine Reserven und die Altersstruktur biete für die Zukunft keine Perspektive, sagte Russ und forderte die Politik auf, Prioritäten zu setzen und wieder stärker für eine aufgabengerechte Personalausstattung zu sorgen.

Zur bevorstehenden Einkommensrunde für die Beschäftigten von Bund und Kommunen verwies Russ, der Verhandlungsführer des dbb sein wird, auf die anhaltende konjunkturelle Erholung, den Anstieg der Inflationsrate und die stabile Arbeitsmarktlage in Deutschland. Der dbb werde in den nächsten Wochen an der Basis mit den Mitgliedern über ihre Vorstellungen diskutieren, bevor am 18. Februar die Gesamtforderungen für alle Statusgruppen präsentiert werden. Dabei werde es auch um strukturelle Forderungen – etwa die Absenkung des viel zu hohen Anteils befristeter Arbeitsverhältnisse von über 15 Prozent im öffentlichen Sektor – gehen, von dem vor allem Arbeitnehmer unter 35 Jahren betroffen seien. „Der öffentliche Dienst macht im Rahmen seiner ihm gegebenen Möglichkeiten einen verdammt guten Job“, so Russ‘ Fazit. „Den wollen wir auch im Rahmen der diesjährigen Einkommensrunde entsprechend gewürdigt sehen.“

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière brachte in seiner Rede auf der Tagung Dank für die Menschen innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes dafür zum Ausdruck, dass sie im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise „solidarisch und beherzt Verantwortung übernommen haben und manches Mal über sich hinausgewachsen sind“. Mit Blick auf die sexuellen Übergriffe und Straftaten der Silvesternacht in Köln sagte de Maizière, derartige Exzesse habe es in dieser Dimension und möglicherweise auch in der Organisiertheit in Deutschland bisher nicht gegeben. Sie seien inakzeptabel und müssten konsequent mit den Mitteln des Rechtsstaates verfolgt werden. De Maizière vertrat die Auffassung, dass neben der Anwendung des geltenden Rechts auch gesetzliche Verschärfungen notwendig seien.

Ausdrücklich dankte de Maizière den Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden und Polizei von Bund und Ländern für ihre „hervorragende Arbeit“. Bei dieser Belastung sei es wichtig, die Sicherheitsbehörden „deutlich zu stärken. Durch gute Gesetze, durch gute Ausstattung und mit mehr Personal.“

Eine große Diskrepanz zwischen den Erwartungen vieler Bürgerinnen und Bürger und der politisch Verantwortlichen konstatierte Prof. Dr. Werner Patzelt von der TU Dresden in seinem Vortrag. Der Politikwissenschaftler, der zuletzt wegen seiner in den Medien verbreiteten politischen Bewertung der Pegida-Demonstrationen bekannt geworden war, referierte zum Thema der Jahrestagung „Herausforderung für die Demokratie – Politik contra Bürger?“

Ein nennenswerter Teil der Bürger sympathisiere damit, was Parteien wie die AfD und die Anhänger von Pegida zum Ausdruck bringen. Dies sei, so Patzelt, unter anderem auf eine „Repräsentationslücke“ im rechten Parteienspektrum zurückzuführen. Patzelt sprach von einer „Sozialdemokratisierung“ der Union, die sehr zum Vorteil der Mitte der CDU sei. „Von vielen, die bislang in der CDU ihre politische Heimat finden, wird dies aber bedauert“, sagte der Experte. Er sehe einen Konflikt zwischen dem, was die Bundesregierung sagt, und den Sichtweisen eines Teils der Bevölkerung, der doch eine Obergrenze der Flüchtlingszahlen will.

Eine „unzulängliche Rolle“ spielen laut Patzelts Einschätzung die Massenmedien mit ihrem „anwaltschaftlichen Journalismus“. So habe es das Bemühen gegeben, die AfD „zunächst in die rechte Ecke und dann in die Bedeutungslosigkeit abzuschieben“. Der Staat müsse Anwalt eines offenen Meinungsstreits sein, nicht Anwalt einer bestimmten politischen Ausrichtung. „Öffentliche Zustimmung lässt sich nicht erzwingen – redliche, pluralistische, breit aufgestellte Diskussion“ sei erforderlich und ein legitimes Mittel dafür wäre der Wahlkampf. „Wenn dabei heikle Themen herausgehalten werden, entzieht man dem Bürger ein wirkungsvolles Mittel der Meinungsäußerung.“ Das führe zur Gründung von Protest-Parteien und „die Nebenwirkungen können schädlich sein“, sagte Patzelt.

In einer Diskussionsrunde unter der Leitung von ZDF-Moderatorin Dunja Hayali analysierten im Anschluss Wolfgang Bosbach (CDU), Mitglied des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, und Prof. Patzelt insbesondere die Rolle von Politik und Medien in der Flüchtlingskrise.

Den programmatischen Schlusspunkt des ersten Tages setzte Forsa-Chef Prof. Manfred Güllner, der vor einer zunehmenden Entfremdung zwischen Politik und Bürgern warnte. Die „Partei der Nichtwähler“ sei weitaus größer als die allenthalben thematisierte Abwanderung insbesondere von den Unionsparteien in Richtung der Rechten, sagte Güllner in seinem Vortrag.

Man könne anhand der vorliegenden Daten nicht davon ausgehen, dass die „neue Rechte“, vertreten von Parteien wie AfD, NPD und Republikanern, eine größere Anziehungskraft als je zuvor auf die Wählerinnen und Wähler ausübe, führte Güllner aus. Hätten die Rechten etwa Ende der 1960er oder der 1980er Jahre zwischen sechs und 5,4 Prozent der Wählerstimmen erhalten, erreichten AfD, NPD und Republikaner bei der letzten Bundestagswahl insgesamt „nur“ 3,9 Prozent, bei der vergangenen Europawahl „nur“ 3,7 Prozent. Sehe man sich die Wählerbewegungen genauer an, könne kein Vakuum am rechten Rand der Unionsparteien belegt werden: „Von den Unions-Abwanderern würden einige wenige andere Parteien, mehrheitlich im Übrigen die SPD wählen, die ganz deutliche Überzahl jedoch gibt an, ihr Wahlrecht gar nicht mehr wahrnehmen zu wollen“, so der Forsa-Geschäftsführer.

Problematisch sieht der Forsa-Chef vor diesem Hintergrund kein etwaiges „Vakuum rechts der Union“, sondern vielmehr die „deutlich nachlassende Bindekraft der Volksparteien“, die ihren Ausdruck in erheblich schwächeren Wahlergebnissen und Vertrauenswerten für CDU und SPD, für die große Koalition fänden. Auch die schlechten Wahlbeteiligungswerte auf regionaler und kommunaler Ebene wie etwa bei Bürgermeisterdirektwahlen seien Ausweis für einen nachlassenden Glauben der Wähler an die Sinnhaftigkeit des Wahlrechts.

Über erfolgreiche Anstrengungen Baden-Württembergs bei der Aufnahme, Unterbringung und Integration informierte der Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten des Landes, Peter Friedrich, zum Auftakt des zweiten Konferenztages.

„Das Recht auf Asyl ist Grundrecht und nicht verhandelbar“, sagte Friedrich eingangs. Baden-Württemberg habe in mehrfacher Weise auf die vielfältigen Herausforderungen reagiert. „Wir haben in den zurückliegenden Monaten bis zu 1.500 Menschen täglich aufnehmen und unterbringen müssen. Ein schnelles Reagieren war mit üblichen Strukturen nicht möglich.“ Deshalb seien diese verändert und alle staatlichen Ebenen in eine Lenkungsgruppe eingebunden worden – unter anderem Ministerien, Bundeswehr, Feuerwehr.

„Der öffentliche Dienst hat bewiesen, dass er effizient und effektiv reagieren kann. Aber die große Herausforderung liegt eigentlich noch vor uns: Wie werden die Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben, integriert? Das bedarf gemeinsamer Anstrengungen der gesamten Gesellschaft“, sagte Friedrich.

„Der Vertrauensvorschuss durch Willkommenskultur wird von den ins Land Kommenden vielfach erwidert“, stellte Friedrich fest. „Aber wie eine Gesellschaft funktioniert, lernt man nicht abstrakt, sondern durch das Miteinander im Alltag.“ Deshalb plädiere er dafür, „weiterhin den Mut aufzubringen, offen miteinander umzugehen und damit einen Beitrag zur Integration zu leisten“.

Die konkreten Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung beim Umgang mit der Flüchtlingssituation waren auch das Thema der abschließenden Diskussionsrunde. Auf dem Podium: Dr. Eva Lohse, Präsidentin des Deutschen Städtetages, Detlef Scheele, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Peter Friedrich, baden-württembergischer Europa-Minister und der stellvertretende dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach. Die Moderation hatte erneut Dunja Hayali übernommen.

Im Rahmen der Jahrestagung war es den Vertretern der VRFF Die Mediengewerkschaft möglich, sich mit vielen anwesenden Vertretern der dbb-Fachgewerkschaften und Landesbünde auszutauschen, insbesondere auch über die Rolle der Medien im Rahmen der Flüchtlingsdebatte. Vor Ort waren Mitgliedern der VRFF-Betriebsgruppen Beitragsservice, Deutsche Welle Bonn und WDR sowie der komplette geschäftsführende Bundesvorstand (Bundesvorsitzender Ulrich Eichbladt, erste stellvertretende Bundesvorsitzende Anke Ben Rejeb, zweite stellvertretende Bundesvorsitzende Dagmar Bahr, Schatzmeister Jürgen Knipprath, Vorsitzender der Bundestarifkommission Günter Walter).

Alles Wissenswerte zur dbb-Jahrestagung 2016 gibt es auf der Sonderseite: http://www.dbb.de/der-dbb/events/dbb-jahrestagung/dbb-jahrestagung-2016.html