22.06.2007/vrff/HOL/Berlin:Gender ist immer und überall. Das war eines der vielen Ergebnisse aus einer informativen und spannenden Tagung der Akademie Europa vom 08. – 11. Mai 2007 in Sevilla.
150 Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen aus ganz Europa trafen sich, um gemeinsam über die Probleme der Jugend und älterer Arbeitnehmer bei der Inte- gration in den Arbeitsmarkt zu diskutieren. Die Weiterbildungseinrichtung der CESI, die Akademie Europa, hatte in der 2. Veranstaltung der Reihe “Europas demographische Herausforderung – Wege aus der Krise” zu einem länderüber- greifenden Informationsaustausch geladen.
Referenten und Teilnehmer aus den verschiedenen Mitgliedsgewerkschaften, unter anderen aus Polen, Spanien, Deutschland, Frankreich und Rumänien, haben ein Abbild der Probleme junger und älterer Menschen und geeignetenLösungen aus ihren Ländern präsentiert.
Die Probleme des demogra- phischen Wandels seien in vielen Europäischen Ländern ähnlich und man könne viel voneinander lernen, so der Vizepräsident der CESI, Do- mingo Fernández Veiguela, in der Eröffnungsrede. Für die Gewerkschaften Europas sei ein gemeinsamer Wille bei der Lösung der anstehenden Pro- bleme entscheidend. “Uns ver- bindet der Traum von einem gemeinsamen Europa. Wir sind anerkannt und reden mit bei den Europäischen Sozialpartnern”, so Veiguela. Seine Idee für die Tagung sei über den Informat- ionsaustausch hinaus das gegenseitige voneinander Lernen und das Stärken der gemeinsamen Stimme in Europa.
Bei fast allen Vorträgern und Diskussionen wurde deutlich, dass Männer und Frauen ebenso wie Jungen und Mädchen unterschiedlich reagieren und betrach- tet werden müssen. Bei den meisten Untersuchungen und Vorträgen ist das noch nicht passiert – wurde noch nicht gegendert.
Während bei dem Thema “Gewalt an Schulen” sehr wohl Jungen und Mädchen differenziert betrachtet wurden, fehlte die Aufschlüsselung bei der Frage nach Fort- und Weiterbildung für ältere Menschen. Spätestens aber bei der Betrach- tung und der Frage nach dem Grund und Zeitpunkt des Endes des Arbeitslebens war allen klar, was Gendern eigentlich heißt und wie wichtig die Aufschlüsselung ist. Ein Teilnehmer stellte die Frage, warum Frauen und Männer eigentlich in fast allen europäischen Ländern ein unterschiedliches Renteneintrittsalter haben. Männer müssen in der Regel länger arbeiten als Frauen, obwohl Frauen statis- tisch gesehen länger leben. Hier schallte schnell der Ruf nach Gerechtigkeit und alle waren sich einig, dass Männer und Frauen differenziert betrachtet werden müssen, um zur Gleichberechtigung zu kommen.
Auf die Frage, wie junge und ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können, gab es vielfältige Antworten.
Das Grundproblem der jungen Generation ist nach einer Studie der spanischen Lehrergewerkschaft CSI-CSIF die steigende Gewalt an den Schulen und die da- mit verbundene Beeinträchtigung des Bildungsklimas. 43 % der Grundschüler in Spanien haben schon einmal Gewalt erlebt, über die Hälfte der Lehrer in Spanien fühlen sich bedroht. In Polen ist die Situation noch dramatischer. Ryszard Seidel, Mitglied im CESI-Ausschuss für Bildung und Erziehung, führt die Situation in Po- len auf zu große Klassen und mangelnde Fortbildung der Lehrer zurück. Teilnehmer aus verschiedenen Ländern stimmten zu, dass Lehrer wieder mehr Autorität und Ansehen genießen sollten.
Grundsätzlich wurde bemängelt, dass Bildung und Erziehung zunehmend von der Familie in die Schulen verlagert wird. Erziehungsarbeit wird in der modernen Ge- sellschaft, in der Frauen und Männer am Erwerbsleben teilnehmen, den öffent- lichen Bildungsträgern übertragen.
Astrid Hollmann, Mitglied der Geschäftsführung der Frauen im dbb, wies in einer Podiumsdiskussion zur Flexibilisierung der Ar- beitswelt darauf hin, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein entscheidender Faktor bei der Lösung der Bildungsprobleme junger Men- schen ist. Freiräume für die Erziehung in der Familie entstehen, wenn die Arbeitswelt so or- ganisiert ist, dass Eltern wieder Zeit für ihre Kinder haben, ohne auf Erwerbsarbeit und das damit verbundene Einkommen verzichten zu müssen. Die Gleichstellung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit ist ein wichtiger Schritt zur Lösung der demographischen Probleme. “Familienarbeit ist für die Gesellschaft genauso wertvoll wie die Erwerbsarbeit, deshalb sollte die Arbeitsbedingungen wieder den Lebensbedingungen der Menschen angepasst werden. In den letzten Jahrzehnten war das umgekehrt” so Astrid Hollmann. Jungen Menschen sollten zudem geschlechterunabhängig ein besserer Zugang zu allen Berufen ermöglicht werden, um drohenden Lücken in bestimmten Berufs- gruppen zu begegnen.
Bildung ist auch die Antwort auf die Frage, wie ältere Arbeitnehmer besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Mit steigender Lebenserwartung und sink- enden Geburtenzahlen sind auch ältere Arbeitnehmer zunehmend auf dem Ar- beitsmarkt geschätzt und gefordert.
Candida Martínez López, Ministerin für Erziehung in Andalusien, nannte das `Le- benslange Lernen` als Schlüssel für die Herausforderung der Integration älterer Arbeitnehmer. “Wir müssen erkennen, dass Ausbildung und Erziehung ein le- benslanger Prozess ist”, so López. Die Weiter- und Dauerbildung sei in der mo- dernen Gesellschaft unerlässlich. Das Entwicklungs- und Ausbildungssystem müsse der modernen Gesellschaft angepasst werden. Ältere Arbeitnehmer seien, und das zeigen Studien, genauso leistungsfähig wie junge Arbeitnehmer. Sie ver- fügen häufiger über Schlüsselqualifikationen, Erfahrung und Ausdauer als jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Bei der Lernfähigkeit lagen die Älteren in den Studien auf gleicher Höhe mit den Jüngeren. “Gute Ausbildung ist die Grund- voraussetzung junger Arbeitnehmer, gute Weiterbildung die Voraussetzung für das Bestehen älterer Arbeitnehmer” resümierte López.
Jörg Trimmel von der Stiftung für Zukünftige Generationen wies darauf hin, dass die heutige Jugend die erste Generation ist, die keine bessere Zukunft vor sich hat als ihre Eltern. Er klagte mehr Dialog und bessere Vorbilder ein. “Glück muss für die Jüngeren heute etwas anderes sein als die Steigerung des Bruttoinlands- produktes.” Er wünscht sich von den Älteren mehr Austausch und bessere Vor- bilder für die so genannte Generation Praktikum.
Das Schlusswort der Tagung hatte der Präsident der CESI, Valerio Salvatore. Es war ein Appell an alle Gewerkschafter, sich mit noch mehr Engagement und ge- sellschaftlichen Ansätzen in die Arbeitsmarktpolitik einzumischen.
“Wir arbeiten als Gewerkschafter nicht nur für die Gewerkschaft und ihre Mit- glieder, sondern für die ganze Gesellschaft, denn wir werden unsere sozialen Systeme an die Herausforderung des demographischen Wandels anpassen müssen, und die Herausforderung ist riesengroß.”
Die Tagung hat erste Lösungsansätze für die gestellte Aufgabe geboten: Flexibilisierung der Arbeitswelt, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die be- ssere Integration jüngerer und älterer Arbeitnehmer durch mehr und bessere Aus- und Weiterbildung.
Der Direktor der Akademie Europa, Christoph Vondenhoff, bedankte sich unter anderem auch für die von der Frauenvertretung eingebrachten Gender-Aspekte, die der Diskussion wichtige Impulse gegeben habe.
Durch die CESI hat die VRFF eine Stimme bei den europäischen Sozialpartnern. Die Akademie hat mit der Tagung erneut eine sehr gute Plattform für die Anliegen der VRFF und vor allem des Gendernetzwerks der VRFF zum drohenden demo- graphischen Wandel in Europa geboten.
Mehr Informationen, Studien und Vorträge unter www.cesi.org