Arbeitswelt 4.0 – Ausbeutung im Namen der Filmkunst?

04.08.2019/VRFF-FPW/RK/München: Am 4. Juli 2019 fand im Rahmen des Münchner Filmfests die vom Interessenverband Deutscher Schauspieler e.V. (IDS) verantwortete Doppel-Veranstaltung „Arbeitswelt 4.0 – Ausbeutung im Namen der Filmkunst?“ statt. Im ersten Teil, der um 12:15 Uhr mit einer herzhaften Keynote von Dr. Michael Neubauer (BVK) begann, diskutierten im Anschluss Sanne Kurz (MdL), Katrin Simonis (VSK), Marc Haenecke (Dok-Regie) und Dr. Neubauer die aktuellen Arbeitsbedingungen der freien Filmschaffenden. Moderiert von der Schauspielerin Sophie Adell, gelang eine anschauliche Bestandsaufnahme.

Einigkeit herrschte darüber, dass Filmschaffende häufig unter extremen Umständen wirken und arbeiten müssen, die in anderen Bereichen kaum vorstellbar sind. Genannt wurden vor allem viel zu lange Arbeitszeiten, die zudem oft unvorhersehbar vorgegeben werden. Aber auch die mangelnde Einhaltung der Ruhezeiten und nicht anerkannte Arbeitszeiten (z.B. Lenk- und Shuttlezeiten) standen in der Kritik. Darüber hinaus wurden Lohndumping und kreative Abrechnungsmethoden beklagt, welche Filmschaffende – insbesondere im sozialversicherungsrechtlichen Bereich und bei dienstlich bedingten Aufwendungen – unrechtmäßig benachteiligen. Als eine der Ursachen dieser Missstände wurde der bestehende Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende (TV FFS) ausgemacht, der – selbst rechtlich – äußerst fragwürdige Regelungen enthalte, die solche extremen Beschäftigungsbedingungen zwar möglich machen, aber keinerlei Kontrollmechanismen vorsehe, um die ohnehin als unzureichend empfundenen Regelungen des TV FFS in der Praxis durchzusetzen.

Nach einer halbstündigen Pause stellte Sophie Adell im zweiten Teil kurz die Mediengewerkschaft VRFF vor und begrüßte deren Vertreter, die Vorsitzenden der Betriebsgruppen des NDR und der Freien Produktionswirtschaft, Bernd Ebert und Roland Kuhne. Die mit der VRFF kooperierenden Verbände wurden durch Irina Wanka (IDS), Frank Trautmann (BVFK), Dr. Michael Neubauer (BVK), Thomas Neudorfer (VSK) und Stefan Essl (BFS) repräsentiert.

Übereinstimmend wurde festgestellt, dass es eines neuen Ansatzes bedürfe, um die zuvor festgestellten Arbeitsbedingungen grundlegend zu verbessern. Die von den verschiedenen Verbänden seit Jahren angemahnten Verbesserungen finden sich auch im gerade wieder neu abgeschlossenen Tarifvertrag TV FFS nicht. Stattdessen nehme man bei den Verbänden wahr, dass die Öffnungsmöglichkeiten, die dieser Tarifvertrag bietet, von den Produktionsfirmen gern – und exzessiv – genutzt würden. Es sei daher an der Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen. Diesen Weg haben die ersten Filmverbände nun beschritten und die Kooperation mit der Mediengewerkschaft VRFF beschlossen. Konkreter gewerkschaftlicher Partner ist die Betriebsgruppe „Freie Produktionswirtschaft“ der VRFF, die im Januar 2018 aus den Verbänden heraus ins Leben gerufen wurde. Mit der BG „Freie Produktionswirtschaft“, welche eigenständig Tarifverträge aushandeln und unterzeichnen kann, soll zügig ein eigener neuer Tarifvertrag ausgearbeitet werden, der auch die Belange der Mitglieder der Filmverbände in der gebotenen Weise berücksichtigt.

Einhellig war der Wille spürbar, in diesem Sinne vertrauensvoll zum Wohl der Filmschaffenden zusammenzuarbeiten, um endlich adäquate Regelungen und Arbeitsbedingungen sowie angemessene Vergütungen durchzusetzen. Dass das Beschreiten neuer Wege nicht nur im Bereich der freien Filmschaffenden notwendig ist, machte der Vorsitzende der Betriebsgruppe NDR, Bernd Ebert, deutlich. Wie die BG „Freie Produktionswirtschaft“ habe sich auch die BG „NDR“ als Folge der massiven Unzufriedenheit mit der bis dahin existierenden gewerkschaftlichen Vertretung gebildet. Es sei nun an der Zeit, die (gewerkschaftlichen) Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Ein besonderes Anliegen der BG Freie Produktionswirtschaft ist es, durch eine tendenzielle Angleichung des Vergütungs- und Versorgungsniveaus innerhalb und außerhalb der Sender das „Ausspielen“ der Festen gegen die Freien zu erschweren. Heute sehen sich die festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sendern einem erheblichen Druck ausgesetzt, die Kosten der Arbeit auf das Niveau außerhalb der Häuser abzusenken. Nach Auffassung der BG Freie Produktionswirtschaft ist das Gegenteil geboten: Freie dürfen nicht länger der „billige Jakob“ sein, der das Outsourcing in den sogenannten „freien Markt“ über Tochter- und Enkeltochterfirmen der Sender attraktiv macht. Die Bedingungen für die freien Filmschaffenden müssen dringend verbessert werden, um einem weiteren Absinken der Kaufkraft und der vielen Filmschaffenden drohenden Altersarmut entgegenzuwirken. Hierfür werden viele Kolleginnen und Kollegen in der VRFF notwendig sein!