01.12.2006/vrff/VWI/Köln: Wer kennt sie nicht, die Szene aus Heinrich Spoerls Feuerzangenbowle, in der der Spoerl den Lehrer Bömmel in gemütlich-nieder-rheinischem Dialekt fragen lässt:
“Also, wat is en Dampfmaschin? Da stelle mer uns janz dumm.”
Was dabei wenigen bewusst sein mag: das ist ein guter Weg, um das vermeintlich schon Bekannte und auch das Unbekannte zu erhellen – wie zum Beispiel das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.
“Also, wat is de Neue Gleichbehandlungsgesetz? Da stelle mer uns janz dumm.”
Dann versuchen wir es mal, zuerst die Definition:
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz genannt – ist ein deutsches Bundesgesetz, das es zum Ziel hat, ungerechtfertigte Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Zur Verwirklichung dieses Ziels erhalten Angehörige der durch das Gesetz geschützten Personengruppen Rechtsansprüche gegen Arbeitgeber und Private, wenn diese sich in einer gesetzlich verbotenen Weise gegenüber dem Geschützten verhalten.
Doch was bedeutet das? Wer wird jetzt eigentlich geschützt?
Das AGG schützt im arbeitsrechtlichen Teil Beschäftigte. Das sind Bewerber, Arbeitnehmer, Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Selbstständige, auch wenn das Beschäftigungsverhältnis beendet ist. Achtung: Soweit es um den Zugang zur Erwerbstätigkeit und den beruflichen Aufstieg geht, gelten die Vorschriften auch für Selbstständige und Organmitglieder, also Vorstände und Geschäftsführer.
Was ist verboten? Beschäftigte dürfen nicht wegen der Rasse, ethnischen Herkunft, Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts, einer Behinderung, des Alters und der sexuellen Identität benachteiligt werden. Benachteiligungen sind unzulässig in Bezug auf Einstellungs- sowie Auswahlkriterien für den beruflichen Aufstieg, Beschäftigungsbedingungen gleich welcher Art und Entlassungsbedingungen. Erfasst ist somit das Beschäftigungsverhältnis “von der Wiege bis zur Bahre”, bei Selbstständigen und Organen nur der Zugang und der Aufstieg. Nicht entscheidend ist, ob jemand bewusst benachteiligt werden soll (“der gute Wille allein zählt nicht”), sondern das Ergebnis, die weniger günstige Behandlung als solche ist widerrechtlich.
Praktisch bedeutsam ist dies bei mittelbaren Benachteiligungen und bei “Motiv-bündeln”. Liegen erst einmal Indizien vor, die eine Benachteiligung wegen eines der Merkmale vermuten lassen, muss der Arbeitgeber beweisen, dass in einem Bündel von Motiven, das die Entscheidung beeinflusst hat, bspw. das Geschlecht des abgewiesenen Bewerbers, überhaupt nicht als negatives oder das andere Geschlecht überhaupt nicht als positives Kriterium enthalten ist. Solche Indizien beruhen meist auf reinen Nachlässigkeiten, die “teuer” werden können: hat der Arbeitgeber z.B. vergessen, die Schwerbehindertenvertretung über die Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen zu unterrichten, so ist dessen Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft zu vermuten. Die “Kunst”, (Gerichts)Prozesse mit “teurem” Ausgang zu verhindern, liegt also darin, jetzt proaktiv betriebliche Prozesse zu überprüfen, um Indizien zu vermeiden.
Worauf ist zu achten? Stellenausschreibungen sind so neutral und sachbezogen wie möglich zu formulieren. Im Hinblick auf das Merkmal “Alter” sollten Formulierungen wie z.B. “junge(r) dynamische(r) Mitarbeiter(in)” oder “für unser jung- es, dynamisches Redaktionsteam wird gesucht” vermieden werden. Schon dabei kann es sich um ein Indiz für eine Diskriminierung handeln, auch wenn § 10 AGG hier Ausnahmen zulässt.
Merke: eine unterschiedliche Behandlung ist auch zulässig, wenn bereits bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Merkmals durch “geeignete und angemessene Maßnahmen ausgeglichen” werden sollen. Denkbar wäre es, dass ein Unternehmen mit vielen jungen Mitarbeitern gezielt ältere Mitarbeiter einstellt, um deren Anteil an der Belegschaft zu erhöhen.
Bewerbungsunterlagen sind sorgfältig durchzusehen. Aus England ist ein Fall bekannt, in dem ein Bewerber zwei annähernd gleiche Bewerbungsmappen ein- gereicht hatte, ein Exemplar unter exotisch klingendem Namen, ein weiteres mit britischem Namen. Wenn die Bewerbungsmappe dem Bewerber mit dem exotischen Namen zeitlich vor der anderen mit einer Absage zurückgesandt wird oder es sogar in einem Fall zu einem Vorstellungsgespräch kommt, könnte auch dies als Indiz für eine Benachteiligung angesehen werden.
Bei Absagen sollte, wie bei der Stellenausschreibung, auf eine neutrale Formulierung geachtet werden, am besten keine auf die Person der abgelehnten Bewerber gerichteten Formulierungen verwenden und sich bei telefonischen Rück- fragen “bedeckt” halten.
Aber: gegenüber einem abgelehnten schwer behinderten Bewerber kann sich der Arbeitgeber später nur auf solche sachlichen Gründe für die Ablehnung berufen, die er ihm unverzüglich schriftlich mitgeteilt hat.
Was ist noch erlaubt? Grundsätzlich darf nur dann, wenn eines der Merkmale wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt und die Anforderung angemessen ist, deswegen unterschiedlich behandelt werden, sofern der Zweck rechtmäßig ist.
Darf, wer ein Korrespondentenbüro im Nahen Osten unterhält, Bewerbungen von Frauen als Freie Mitarbeiterinnen oder Korrespondenten aussondern, weil sie von potentiellen Gesprächspartnern nicht als Redakteur akzeptiert werden? Sind nur junge aufstrebende Autoren als Live-Reporter geeignet? Darf nach der Zugehörigkeit zur Neuapostolischen Kirche gefragt werden? Darf dem überzeugten Vegetarier und Tierschützer, der sich weigert, eine Kochsendung über die Zubereitung des T-Bone-Steaks zu betreuen, gekündigt werden?
Letzteres hängt von der Frage ab, was eine “Weltanschauung” ist. Ist sie mehr als nur eine “Überzeugung”?
Kündigungen und AGG. Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz. Dennoch enthält das Gesetz einige flankierende Regelungen, z.B. zur Berücksichtigung des Alters bei der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Ihm darf kein genereller Vorrang gegenüber den anderen Auswahlkriterien zukommen, entscheidend müssen die individuellen Besonderheiten bleiben. Auch im Übrigen enthält § 10 AGG zahlreiche, relativ konkrete Regelungen über die Möglichkeit, wegen des Alters unterschiedlich zu behandeln, unter anderem in Sozialplänen.
Schulung von Mitarbeitern! Der Arbeitgeber ist verpflichtet, gegen Benachteiligungen einzuschreiten und vorbeugende Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen zu treffen. Entsprechende Schulungsveranstaltungen gelten als Erfüllung dieser Verpflichtung. Beschäftigte mit Weisungsbefugnis müssen besonders geschult werden, da dem Arbeitgeber deren Diskriminierungshandlungen zugerechnet werden.
Schadenersatz und Entschädigung. Bei einem vom Arbeitgeber zu vertretenden Verstoß gegen ein Benachteiligungsverbot hat er den wirtschaftlichen Schaden zu ersetzen sowie eine Entschädigung für einen nichtvermögensrechtlichen Schaden zu zahlen. Während der Entschädigungsanspruch begrenzt ist auf immerhin 3 Monatsvergütungen, wenn der Bewerber um eine Stelle auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, sind sowohl der Entschädigungsanspruch gegenüber dem Bestqualifizierten und der Schadenersatzanspruch stets nach oben offen. Das “Horrorszenario” eines benachteiligten Bewerbers, der bis zum Eintritt in die Rente eine “Aufstockung” seiner Bezüge durch den Arbeitgeber fordert, dem es im Prozess nicht gelungen ist, nachzuweisen, dass der Bewerber ausschließlich aus sachlichen Gründen nicht eingestellt wurde, ist daher zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen.
Um rechtliche Probleme zu vermeiden, sollten in allen Betrieben umgehend Beschwerdestellen benannt werden. Das AGG schreibt Unternehmen u. a. vor, dass eine Person als Ansprechpartner für Beschwerden benannt werden muss. Außerdem muss der Gesetzestext den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, zum Beispiel durch Aushang, zugänglich sein.
Ach übrigens: Seit Einführung des Gesetzes mehren sich Berichte über Personen, die sich nur zum Zwecke der Erlangung von Schadenersatzansprüchen nach dem AGG bei Unternehmen und Firmen auf Stellenausschreibungen bewerben, die diskriminierende Inhalte haben. Solche Inhalte sind schon Formulierungen wie “junges Team” (Alterdiskriminierung) oder “Bewerbung mit Lichtbild” (Diskriminierung wegen der Rasse oder Herkunft). Die Bewerber haben kein Interesse an einer Anstellung, sondern machen nach einer Absage Rechte aus dem AGG geltend. Diese Praxis ist nach dem 611a-Hopping benannt. Inzwischen führt eine Anwaltskanzlei ein Archiv über dort gemeldete Fälle von 611a- und AGG-Hopping zu Beweiszwecken. Abfragen können dort kostenlos gestellt werden.
“Also, wat is de Neue Gleichbehandlungsgesetz?” – ist doch alles klar jetzt – oder?