Warnstreiks bei ARD-Anstalten

Politik spart Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk kaputt

Warnstreiks bei WDR und NDR, Arbeitsniederlegungen bei Radio Bremen und SWR – auch in anderen ARD-Anstalten und im ZDF beginnen bald die Tarifverhandlungen zur Vergütung. Die Beschäftigten der Medienhäuser stellen sich auf zähe Verhandlungsrunden ein – und auf Streiks. Warum? Sechs Fragen an Christian Gesch, Vorsitzender der Bundestarifkommission der Mediengewerkschaft VRFF.

Christian Gesch (c) VRFF

Bis vor zwei Jahren ist es kaum zu Streiks in öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen gekommen. Wieso jetzt?

In den vergangenen zwei Tarifrunden mussten die Beschäftigten von ARD, ZDF und Deutschlandradio Reallohnverluste hinnehmen: Ihr Gehalt stieg erheblich weniger als die Lebenshaltungskosten. Und dieses Jahr wollen die Arbeitgeber die Gehaltszuwächse immer noch unter der Inflationsrate halten.

Der Abschluss des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks hat sich jedoch immer am Abschluss des Öffentlichen Dienstes orientiert. Bei den letzten Tarifverhandlungen 2022 versprachen die Anstalten, dass man sich auch beim nächsten Abschluss weiterhin nach dem des Öffentlichen Dienstes richten werde. Der jüngste Abschluss dort fiel hoch aus; deshalb möchte man von dieser Zusage jetzt nichts mehr wissen. Auch weil die KEF, die von der Politik beauftragte Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs, vorschreibt, dass die Personalausgaben um nur knapp mehr als 2 Prozent pro Jahr steigen dürfen bis 2029.

Zeitgleich haben sich die Politiker*innen im Bundestag dieses Jahr eine Steigerung ihrer Bezüge von 6 Prozent gewährt – um mit den in dieser Höhe gestiegenen Lebenshaltungskosten Schritt halten zu können.

Die KEF sagt, dass die Gehälter bei den Öffentlich-Rechtlichen zu hoch sind?

Bei wenigen Berufsgruppen liegen die Gehälter tatsächlich über dem Niveau in der freien Wirtschaft. Im redaktionellen Bereich vor allem. In den technischen Berufen sieht das jedoch ganz anders aus: Software-Entwickler, Projektleiter, Elektriker, Kraftfahrer, Cutter – in solchen Fachbereichen bleiben die Stellen oft unbesetzt, und eine ganze Menge Berufseinsteiger verlassen nach kurzer Zeit die Sender wieder, weil die Rahmenbedingungen woanders wesentlich attraktiver sind. Die Medienhäuser sind da einfach nicht mehr konkurrenzfähig.

Die VRFF fordert zwischen 10,5 und 12 Prozent mehr Gehalt. Eine utopische Forderung?

Eine realistische, wenn man sieht, was die Politik von den ÖRR an Reformen, technischen Weiterentwicklungen und Umstrukturierungen fordert, und wie die Lebenshaltungskosten gestiegen sind. Zum einen wurde uns Beschäftigten über Jahre vorgehalten, wir sollten so bescheiden sein wie der Öffentliche Dienst, und das waren wir. Zum anderen haben wir eine ähnliche Problemlage wie der Öffentliche Dienst: Der wurde in den vergangenen Jahren so kaputtgespart, dass es an Menschen fehlt, die noch in diesem Sektor arbeiten wollen.

Aufgrund der hohen Inflation in den vergangenen beiden Jahren haben sich nun die Angestellten 2023 eine passende Gehaltssteigerung erstritten. Jetzt wollen wir ebenso bescheiden sein wie der Öffentliche Dienst.

Die KEF hat eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 58 Cent vorgeschlagen. Wie wirkt sich diese Erhöhung auf die Tarifverhandlungen aus?

Noch ist die Erhöhung ja nicht beschlossen. Sechs Ministerpräsidenten sperren sich gegen die Erhöhung um diese 58 Cent – die gerade einmal eine Steigerung um 0,8 Prozent pro Jahr bedeuten – obwohl sie sich rein juristisch gar nicht dagegen sperren dürften.

Aber selbst, wenn es die Erhöhung gäbe: Was wir Tarifverhandler*innen irritierend finden, ist, dass die KEF – im Auftrag der Politik – vorschreiben darf, wie hoch maximal der Personaletat steigen darf. Wenn man die KEF befragt, erhält man immer die Antwort, dass sie sich nicht in die Tarifverhandlungen der Rundfunkanstalten einmischen darf.

Zeitgleich fordert die Politik – zurecht – Reformen von den Öffentlich-Rechtlichen. In vielen Anstalten der ARD und auch beim ZDF sind bereits etliche Reformen auf dem Weg; das hat der von der Politik beauftragte Zukunftsrat im Januar auch bestätigt.

Doch wenn ein System effizienter und sparsamer werden soll, braucht es Investitionen: In neue schlanke Systeme, in synergetische Arbeitsprozesse, in Zeit und in dafür gut qualifiziertes Personal. Das gibt es aber alles seit Jahren nicht. Es wurde sogar noch Personal gestrichen, mit der Konsequenz von Mehrarbeit und Mehrbelastung für das bestehende Personal – und inzwischen stark gestiegenen Krankenständen. Die Politik fordert also Reformen von ARD und ZDF auf dem ohnehin schon belasteten Rücken der Beschäftigten; Geld für die nötigen Investitionen will sie aber nicht geben.

Sind den Arbeitgebern in den Anstalten dann aber nicht die Hände gebunden bei den Tarifverhandlungen?

Die Gewerkschaften sind Arbeitnehmervertretungen. Wir kümmern uns um die Belange der Beschäftigten. Und da ist enormer Handlungsbedarf gegeben. Das Verständnis für die harte Gangart der Arbeitgeber in den Tarifverhandlungen ist für unsere Mitglieder nicht nachvollziehbar und führt auch zu Unmut. Und selbstverständlich haben die Rundfunkanstalten einen gewissen Spielraum bei ihrem Etat. Und generell sollte man keine Versprechungen tätigen, die man nicht halten kann.

Wie werden die Tarifverhandlungen weitergehen?

Da sich die Rundfunkanstalten nicht bewegen, werden wir zu umfangreicheren Maßnahmen übergehen. Wir sind nicht bereit weitere Reallohnverluste hinzunehmen und werden daher immer wieder vereinzelte und gezielte Streikmaßnahmen durchführen. Und wenn sich die ARD – denn selbstständige Verhandlungen in den einzelnen Rundfunkanstalten gibt es nicht mehr – immer noch nicht bewegt, dann werden wir noch einen Schritt weiter gehen. Es wird daher mit massiven Ausfällen im Öffentlich- Rechtlichen Rundfunk zu rechnen sein. Solange bis uns die ARD ein akzeptables Angebot vorlegt!